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Bayreuther Graduiertenzentrum für Kultur-, Sozial- und Geisteswissenschaften (BayKULT)

Promotionsprogramm BayKULT "Kommunikative Konstruktion von Wissen"

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Fachliche Ausrichtung und Profil

Die Forschungen des Internationalen Doktorandenkollegs gliedern sich in drei Fokusbereiche: Interaktionen – Transformationen – Umbrüche.

Die kommunikative Konstruktion von Wissen

Zahlreiche Zeitdiagnosen betonen, ›Wissen‹ sei zum entscheidenden Faktor aktueller gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und technischer Entwicklung avanciert und habe die industrielle Produktion als hauptsächliches Fortschrittsmoment abgelöst. Makroanalysen übersehen dabei allerdings häufig, dass die Auszeichnung unserer Gesellschaft als ›Wissensgesellschaft‹ zumindest insofern unpräzise ist, als dass alle Gesellschaften Wissen benötigen. Generell entsteht Wissen aus einem Verhältnis zwischen subjektiven Verstehens- und intersubjektiven Verständigungsprozessen. Entsprechend unterscheiden sich die gesellschaftlich relevanten Formen des Wissens, die Art ihres Zustandekommens und ihre Akzeptanz (beispielsweise bezüglich des »Erfahrungswissens«) sowie die Arten ihrer Verbreitung von Epoche zu Epoche und von Gesellschaftyp zu Gesellschaftyp erheblich. Die Frage ist also, welche Formen von Wissen in der Gegenwartsgesellschaft eine zentrale Bedeutung spielen und wie diese in interaktiv gestalteten Transferprozessen erzeugt, verteilt und angeeignet sowie begründet bzw. negiert werden.

Eine Beantwortung dieser Frage erfordert substanzielle empirische Forschung in theoriegenerativer Absicht. Zum einen werden die Wissensformen in den Blick genommen: Was sind die gegenwärtig für zentrale gesellschaftliche Bereiche und Funktionen unverzichtbaren und damit herausragenden Wissensformen? Wie werden sie hergestellt, verbreitet und angeeignet? Mit welchen Mitteln werden sie legi-timiert bzw. delegitimiert? Welche Transformationen erfahren Wissensbestände in der kommunikativen Bearbeitung, und welche Veränderungen von gesellschaftlichen und von individuellen Wissensvorräten ergeben sich in Folge?

Diese Fragen werden im Internationalen Doktorandenkolleg »Kommunikative Konstruktion von Wissen« mit einer Verbindung aus Methoden der Sprach- und Literaturwissenschaft sowie der Sozial- und Kulturwissenschaften untersucht. Die enge Verzahnung ermöglicht gemeinsame fachübergreifende Forschungsaktivitäten zu einem Themenbereich, der von eminenter grundlagentheoretischer Bedeutung ist und zugleich ein höchst aktuelles Problemfeld in spätmodernen Gesellschaften darstellt: die Gattungen, Formen, Muster und Modalitäten der Kommunikation von Wissen.

›Wissen‹ umfasst ein breites Spektrum verschiedener Wissensformen. Es reicht von Fähigkeiten und Fertigkeiten über Erfahrungswissen, Handlungskompetenzen und habitualisierte ›Kulturtechniken‹ bis hin zu den – zumeist explizit als solche ausgewiesenen – ›Sonderwissensbeständen‹, die in der Regel an bestimmte soziale Positionen geknüpft sind. Wissen in diesem breiten Verständnis umgreift dabei sowohl die in das ›Allgemeinwissen‹ eingelassenen und damit häufig weniger klar erkennbaren ›Selbstverständlichkeiten‹ bestimmter kultureller Vergesellschaftungsformen als auch die deutlicher als ›Wissen‹ ausgezeichneten Bestände, die auf institutionellem Wege vermittelt und ggf. über Zertifikate legitimiert werden. Fähigkeiten und Fertigkeiten sind als »geronnene Erfahrung« im Sinne ›inkorporierter‹ Wissensbestände Teil des subjektiven Wissensvorrats, die zwar beherrscht und teilweise mit anderen Gruppen in der Gesellschaft als geteilt angesehen werden, aber nicht unbedingt metareflexiv verfügbar und verbalisierbar sein müssen.

Welche Formen des Wissens auch immer im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen: Empirisch erforscht werden kann Wissen immer nur als Kommunikation. Die Analyse kommunikativen Handelns bildet damit die zweite Zentralachse. Prozesse der kommunikativen Konstruktion von Wissen umfassen die zahlreichen ›elementaren Formen‹ von Belehrung, Unterweisung und Anleitung auf der einen sowie Aktivitä-ten der Verstehensdokumentation auf der anderen Seite. Die ›elementaren‹ Formen können als Bestandteile komplexerer kommunikativer Gattungen auftreten, wie bei-spielsweise als Präsentationen, Seminare, Konferenzen, Problemlöse-Gespräche usw. Hier übernehmen die Handelnden unterschiedliche Rollen und Funktionen und bearbeiten situations- bzw. problemspezifische kommunikative Aufgaben. Dabei kommt in mediatisierten Gesellschaften neben der schriftlichen und mündlichen in wachsendem Maße auch der technisch vermittelten Kommunikation eine bedeut-same Rolle zu. Schließlich wird die Ebene der institutionellen und gesellschaftlichen Einrichtungen zu berücksichtigen sein, die sich in mehr oder weniger explizitem Maße der Verbreitung von Wissen widmen.

Konzeptuell und methodisch orientieren sich die Forschungen an der Gattungsanalyse. Als integrativer Ansatz kombiniert die sozialwissenschaftliche Gattungsanalyse die spezifischen Kompetenzen sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlicher mit so-zialwissenschaftlichen Analyseinstrumenten. In der vereinten Anstrengung linguistischer, soziologischer sowie ethnografischer und kulturwissenschaftlicher Forschung steht die empirische Erforschung auf der Grundlage natürlicher sprachlicher und mul-timodaler Daten im Zentrum. Mit ›natürlichen‹ Daten ist die Erhebung, Analyse und Interpretation solcher Materialien gemeint, die nicht eigens für die Forschung erzeugt werden, sondern die aus gesellschaftlich schon existierenden alltagsweltlichen oder institutionellen Kontexten stammen. Insofern Medien in wachsendem Umfang und in immer weiter ausdifferenzierten Formen zum integralen Bestandteil gegenwärtiger Gesellschaften avanciert sind, schließt dies mediale Daten grundsätzlich ein.

Kommunikation als zeichenverwendendes soziales Handeln erfordert einen doppel-ten, zueinander komplementären Untersuchungsfokus: Wir rücken sowohl Analysen von Prozessen in den Blick, in denen die Beteiligten sich verständigen, als auch Ana-lysen derjenigen ›Materialien‹, mit deren Hilfe die Verständigung erfolgt. Für die Re-konstruktion der kommunikativen Konstruktion von Wissen analysieren wir deshalb sowohl (a) die konkreten Interaktionsprozesse und deren Struktur, Verlauf und per-formative Ordnung als auch (b) die Rolle der materiellen Zeichen, Zeichenträger und Medien einschließlich ihrer sich wandelnden kulturellen Bedeutung und Funktionen.

Die Zusammensetzung des Internationalen Doktorandenkollegs erlaubt dabei eine komplementäre Betreuung von Promotionsarbeiten, die sich jenseits disziplinärer Verengungen konkreten Problemen in dem umschriebenen Forschungsfeld widmen wollen. Das Angebot richtet sich insbesondere an Promovierende aus den Sprach-, Literatur-, Kultur- und Sozialwissenschaften mit Forschungsvorhaben aus dem Bereich der Interaktions- und Kommunikationsforschung


Verantwortlich für die Redaktion: Univ.Prof.Dr. Bernt Schnettler

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